Menschen, Mythen, MUTTIationen

Der folgende Text erschien auch in der achten Ausgabe des Queerulant_innenmagazins. Eine englische Übersetzung findet ihr hier
Ein Abgesang
Intro
Ich war auch vorher nicht frei. Zumindest hatten die strukturell geschmiedeten Ketten aber eine hübsch ordentliche Länge und so konnte ich mir manchmal wirksam einreden, dass sie gar nicht da wären.

Freiheit. Was auch immer das bedeutet für dich.

Für mich meint es auch das Privileg der Wahl zu haben.

Werden und Sein, was ich bin um leben zu können, wie ich will. Zusammen mit denen, die mir wichtig sind.

Ohne Ab_Bewertung, Kommentierung, Unterdrückung. Gar Schlimmeren ausgesetzt zu sein.

1.Strophe

Die Feststellung, dass ich nicht krank sondern schwanger bin, erfolgte parallel zur Erkenntnis, dass ich mich lebensverändernd geirrt hatte. Gleichberechtigung™ in leuchtenden Bustaben nun also auf eine Familienpackung geklebt. Der Inhalt unverändert. Vom Menschen zur Nur-Noch-Abgesandten meines Uteruses in weniger als neun Monaten. Frondienste folgend. Jegliche Rechte abgetreten an die heilige Mutter. Am Ende vollständige Muttiation.

Eine Ode an die Unfreiheit.

Wenn tatsächlich mehr erreicht wurde als das vielbesungene Neue Väter am Wochenende in durchgentrifizierten In-Bezirken Buggyschaulaufen betreiben, warum fehlt es dann immer noch allerorten an sicht- und spürbaren Konsequenzen ? Wenn von diesen dann – im immernoch seltenen Fall, dass ihre Elternzeit mehr als einige Monate beträgt – umgehend Bücher niedergeschrieben werden oder sie die Feuilletons namhafter Tageszeitungen mit ihren Leidensgeschichten befüllen müssen, bekommt das am Ende nur wieder den Stempel BESONDERS. Ein in Worte gegossenes Denkmal um die VORBILDLICHE AUSNAHME zu zementieren und sich in weiten Kreisen feiernd um sich selbst zu drehen…an der Machtverteilung ändert dies nichts.

Zwischentöne

Als Betroffene von sexualisierter Gewalt habe ich lange darum gerungen, wieder in meinem Körper anzukommen. Jetzt war ich nochmal ganz anders und neu auf Körperlichkeit zurückgeworfen und bestaunte von irritiert bis zuversichtlich, was sich da monatelang abspielte. Über allem die Befehls- und Vermessungseinheiten, welche strikt zu befolgen eine schwangere Person heute angehalten ist. Tust du es nicht, machst du dich sofort des (beginnenden) Rabenmuttertums verdächtig. Eine weitere erfolgreiche Strategie aus dem vielfältigen Sortiment von Disziplinierungsmaßnahmen, die den weiblichen Körper im Fokus haben und auf diese Weise Vereinahmungen jedweder Art zu legitimieren versuchen.

Das ich auch in diesem Zeitraum über mich lernte, dass ich nicht cis bin, alles andere als Zufall. Je mehr Menschen um mich herum darauf bestanden, dass ich mich in der Hochphase meiner Weiblichkeit befände, desto klarer wurde mir, dass das für mich nicht zutrifft. Ich fühlte mich auf eine wohlige Art sonderbar in diesem Körper, der solange nicht für mich gewesen war…ich wollte das genießen und mich nicht (wieder) mit den Zuschreibungen Anderer beschäftigen und rumärgern müssen.

2.Strophe

Verblichene Abziehbilder der Mutter dienen als Basis, vermeintlich angereichert mit neuen Hochglanzcovern ala workingmum. Das nicht nur Frauen schwanger werden und Familie nicht gleichbedeutend mit VaterMutterKind ist hat hier keinen Platz. Die Mutter bleibt doppelt biologistisch aufgeladenes Scharnier, dass für den heteronormativen Systemerhalt sorgt. Verwehrt sich eines dagegen, wird es spätestens über das Kind in altbekannte Schablonen zurückgedrängt. Familie™ muss bleiben, was Familie™ schon immer war. Alle, die es anders machen oder wollen nur zu diskreditierende Deserteur*innen.

Ich hatte nicht vor, Teil eines MutterVaterKindensembles zu werden. Bereits in meiner Schwangerschaft diskutierten Freund*innen und ich, wie mögliche Elternativen dazu aussehen könnten, entwarfen Pläne, lachten und fürchteten uns. Nachdem das Kind dann geboren war, gab es fürs Erste weder Raum noch Zeit um weiter daran zu arbeiten. Theorie es anders zu gestalten ab da an ein einziger Luxus, den ich mir in der Praxis nicht mehr leisten konnte. Abgedrängt in eine völlig eindimensionale Auslegung von Mutterrolle. Einzunehmen jetzt und gleich, fest eingebettet in einen präzise abgezirkelten Verhaltenskodex. Bei Nichteinhaltung Maßregelung durch die gesamte Umwelt, vor allem auch durch andere Mütter (die Solidarität endet immer bei „meinem“ Kind!). Vielfalt in Kindererziehung und ein scheinbar erweiterter Familienbegriff- letzlich ein weiteres Märchen Verwertungslogik des freien Marktes. Nur soweit gültig, wie es nicht wirklich an Althergebrachtem rüttelt und ökonomisch nutzbar gemacht werden kann.

Ein neues Lied anstimmen ?!

Den Begriff der “ Mutter “ zu hinterfragen, ihn Stück für Stück abzutragen und durch das Skalpell der Dekonstruktion freizulegen, was darunter wirkmächtig funktioniert ist (m)ein möglicher Weg. Anzufangen fernab von limitierenden Einbahnstrassen in Richtung Weggabelung zu laufen um andere Variationen und Konzepte gelebter Elternschaft zu erkunden.

Outro

Dabei geht es mir nicht darum diejenigen anzugreifen, die sich mit dem Mutterbegriff identifizieren (können) und diesen in ihrem Sinne ausfüllen, sondern Platz zu machen für die, die sich darin nicht wiederfinden. Ich habe viele großartige Menschen getroffen, seit dem das Kind auf der Welt ist, die mit hochhausgroßen Ladungen Wunderbar ihre Wege of Elternschaft gehen…viel zu oft steckt zudem hinter angeblich konstruktiver Kritik von Mutterschaft- von der arroganten Betrachtung sogenannter Mamablogs (die eigene Abgrenzung von selbigen plus Abwertung anbei) bis zum alleinigen Verantwortlichmachen von Müttern für alles Unheil in der Welt- erneut nur Misogynie in unzähligen Facetten…mal mehr, mal weniger geschickt getarnt.

Das Kind lehrt mich Menschsein neu, erinnert mich daran, was wirklich zählt und über allem alles einmummelnde orangegelbe Riesenliebe. Was mich aber nur noch mehr daran Anstoß nehmen lässt wie eng mir die Mutterrolle ist, wie wenig sie in stereotyper Ausführung mit mir und meinem Leben zu tun hat.

Familie und Elternschaft ist für mich das, was ich daraus mache, es ist kein starres Konstrukt, sondern liquide und den Bedürfnissen aller Beteiligten angepasst oder zumindest dies als Anspruch, der den Weg beleuchtet. Sie schließt in meiner praktizierten Version Freund*innen ebenso ein wie mir liebe Menschen meiner Verwandtschaft. Ich würde gern noch viel mehr Kinder in die Welt begleiten und ihnen beim Raum-Einnehmen und Größer-Werden zusehen…aber ich möchte nie wieder und unter keinen Umständen in diese biologistische backlash Hölle zurück, in deren Richtung ich in meinem schwangeren Körper geschubst wurde und die ich noch nicht lange wieder verlassen habe.

Oder etwas frei nach Räuberhöhle : Ich will kein Teil von diesem Mist sein.

 

 

Sing to me- Identitätsmosaik Teil 1

(TW- Beschreibung sexualisierter Übergriffe )

Hinter vernarbten Schichten Panzerhaut wohnt, in einem mit Sprüngen übersäten Seelenglas:

Dieses Gefühl.

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In einem wachen neugierigen bücherverschlingenden Kind.

Ein Mädchen dann, Zuschreibungen inklusive. Eines, das sich wohl fühlt in seinem verläßlichen Körper mit dem es auf Bäume klettern und lange rennen kann ohne aus der Puste zu kommen. Das schüchtern ist und dann an „falscher Stelle“ den Mund aufreißt. Dem die Erwachsenen schon früh erzählen, wie „naseweis“ es wäre oder dass das was es gerade als seine Wahrheit ausgesprochen hat „sich nicht gehören würde laut zu sagen“. Das mit anderen Kindern im Urlaub eine Bande gründet und Geheimtreffen abhält. Ronja, die rote Zora und Zwiebelchen mit seinem revolutionären Gemüsefreund_Innen immer an seiner Seite.

Irgendwann ist es kein Kind mehr, aber die Erwachsenensachen sind auch nur verstörend. Wenn es Erwachsensein ist, bittere braune Brühe zu trinken, stinkige Zigaretten zu rauchen oder seltsame Witze zu machen, die es nicht versteht und alle Großen lachen komisch…dann können sie ihr Erwachsensein behalten.

Sich immer öfter gegen Ungeheuer(liches) verwehren müssen. Der ältere Junge, der ihm Kaugummi und einen kleinen Anhänger schenkt und sagt, wie hübsch es wäre. Der SowasWieEinOnkel, der ein Foto schickt, auf dem es 13jährig bei einer Familienfeier auf einem Stuhl im Garten sitzt. Auf die Rückseite schreibt er “ ein Bild auf dem man sieht, was (      ) für schöne Beine hat“. Der Vater, der von den „weiblichen Formen“ redet, die es langsam bekommen würde und „zickig“ nennt als es sagt, wie unangenehm ihm diese Aussagen sind. Der alte Mann im Schwimmbad, der sich im Wasser anfasst und dabei herübersieht. Der Mann mit den behaarten Unterarmen, die er in der Straßenbahn links und rechts plaziert und sich an es presst. Es schluckt schwer an all dem Ekel, der Angst und dem Gefühl von Ausgeliefert-Sein in solchen Augenblicken. Schlimmer noch, weil es für die Erwachsenen manchmal keine besondere Sache zu sein scheint.

Wie all das aber trotzdem nicht den Hunger nach Leben, nach Verstehen und Erfahren stoppen kann.

Die alten „Das Magazin“ Hefte der Eltern…und die grauweiß-gestreifte Schlafanzugshose, die feucht wird. Vergleiche der Frauen auf den Bildern, die schön sind, mit dem eigenen Körper. Sich fragen, was da noch kommt. Unsichergefärbte Vorfreude und dieses warmen Ziehen im Unterleib. Abende vorm Radio, in der umarmenden Dunkelheit Hände, die sich manchmal nicht mehr wie die eigenen anfühlen. Salt’n’Pepa singen über Sex. Aufregung in Melodie gegossen.

Mit 11 das erste Mal verliebt sein. In einen Jungen drei Klassen höher. Die Erwachsenen feiern das. Den Freundinnen legt es erzählenderweise jede kleine Begegnung auf dem Schulhof in die Hände wie besonders zerbrechliche Schätze.

Es ist kühler Mai als es das nächste Mal verliebt ist. Dieses Mal kann es niemandem davon erzählen. Das spürt es. Sie ist eine Freundin der Mutter, großgewachsen und hat braune Augen. Ihre Haare leuchten in der Nachmittagssonne. Sie ist lustig und als sie einmal zufällig sein Knie streifend sagt: “ Oh, ich dachte, du hättest eine Strumpfhose an, so braun wie deine Beine jetzt schon sind“ glaubt es den Moment entlang in etwas wunderbar Strudelig-Heißes zu versinken. Eine wieder und wieder nachcolorierte Erinnerung, die es lange Monate vorholt während es sich beim Betrachten wegsehnt.

Mit 16 küsst es auf einer Party zum ersten Mal ein anderes Mädchen. Sie hören dabei Billy and the Willies. Der Song „She’s nice“ landet auf dem Mixtape und ist konserviertes Herzklopfen, weiche Haut überall. Das blauweiß-karierte Taschentuch, das nach dem anderen Mädchen riecht, wochenlang in der Jackentasche festhaltend. Völlig hingerissen von dem anderen Mädchen mit seinen kurzen bunten Haaren, wie es immer in einem grünen Parka versinkt und Sonic Youth liebt.

Die erste gay-Party besucht es mit zitternden Beinen und trockenem Hals. Es tanzt die ganze Nacht, verträgt den Alkohol nicht und wird irgendwann auf der Tanzfläche von einer älteren Frau hart auf den Mund geküsst. Beschämt sein und flüchten ist eins. Am nächsten Tag wird ein Freund die Nummer der blonden butch mitbringen, die die ganze Zeit mitreißend rübergelacht hat. Es wird sich nicht trauen, anzurufen.

Kurz darauf muss es vom Gymnasium abgehen, zuviel Fehlzeiten und „schlechte Leistungen“ im Verbund. Die Direktorin wird beim Abschlussgespräch sagen dass es „ohnehin nie hierher gepasst hätte“. An der neuen Schule gibt es keine Punks, aber dieses Metal-Mädchen in rot-schwarz-karierten Flanellhemden und Lederhosen. Das Metal-Mädchen mit seinen witzigen Comics, in denen es die kaputten Erwachsenen zeichnet, die dröge Schule und was es bedeutet, Außenseiterin zu sein. Bald darauf entdeckt das Metal-Mädchen Batcave und sie können Stunde um Stunde in dem Zimmer des Metal-Mädchens sitzen, süßen Wein trinken und über Musik reden. Sie schreiben abwechselnd Geschichten zusammen und lesen sich ihre Gedichte vor. Sie werden das Punk/Gothic-Duo in der Schule. Bis an die Zähne bewaffnet mit ihrem Anderssein und ihrer gegenseitigen Zuneigung setzen sie sich hinweg über alle dummen Sprüche, vor allem von der Gruppe Nazijungs, die vor der Schule warten. Einmal sogar handgreiflich werden. Das Metal-Mädchen ist nun Goth, in langen Samtkleidern und Pikes. Sie lieben sich nicht nur wie Schwestern, aber das merken sie erst als sie mit anderen zusammen sind. Sich schon großflächig verletzt haben und sich nur noch in ein Dazwischen trauen, in dem sie heimlich auf Toiletten oder in Ecken weit weg von den Anderen ineinander verschlungen die Welt auf Zweisamkeit reduzieren.

Dann der Beginn der Eiszeit, in der es fast stirbt.

Schwerst verwundet durch die sadistische Gewalt einer Person, die vorgibt zu lieben, friert es sich im Körper ein und kommt lange nicht mehr irgendwo an.

Es ist jetzt auf der Flucht.

Nur noch im Vergessen zuhause, dem einzigen Ort, wo nichts schmerzen kann…