Nudeln mit Ketchup

Lange schon schleiche ich um das Thema und nähere mich vorsichtig aus allen Himmelsrichtungen:

Armut ist immer das, was bei anderen noch viel schlimmer aussieht.

Ein Spotlight auf den Abgrund zu richten, der sich zwischen mir und anderen immer dann auftun oder überhaupt erst sichtbar werden kann, wenn von Gelddingen die Rede ist.

Schwer, so schwer.

Ich bin arm.

Damit ist nicht gemeint, dass ich mir das aktuelleste Iphone nicht leisten oder nicht nochmal in den Urlaub fahren kann, mir das neunte rare vinyl diesen Monat nicht kaufe oder doch eins der drei abonnierten Magazine abbestellen muss. Das sind Luxusprobleme, liebe Freund*innen des Konsums und für derlei Lifestylefragen bitte ich andere blogs aufzusuchen. Küsschen und winke winke.

Ich bin arm und habe Angst das Ausmaß meiner Armut vor euch auszubreiten.

Ich will kein Ausstellungsobjekt für diejenigen sein, die mich dann mitleidig betrachten können um sich danach entspannt zurücklehnen und “ Puhh, der_die Arme, haben wir es gut “ zuzuflüstern. Mich so an die Stelle einer nur zu bemitleidenden Person platzieren…Hauptsache weit genug weg von ihrer eigenen Lebensrealität.

Ich bin arm aber ich SCHÄME MICH NICHT MEHR DAFÜR.

Die Scham war bis eben mein unfreiwillig abgelegtes Schweigegelübde.

Ich bin sogar manchmal stolz: Dass ich es trotzdem schaffe klarzukommen.

Ich habe es satt mich defizitär zu fühlen, weil ich an die meisten Konsumgüter nur so nah herankomme, wie die Schaufensterscheibe es zulässt. Diese Welt war ohnehin nie die meine, was macht das also schon. Als ich Zonenkind das erste Mal mit meinen Eltern in einem westlichen Kaufhaus stehe, bin ich noch sehr sehr klein und alles um mich herum viel zu großgrellbunt. Auf jeden Fall zuviel. Ich bekomme Angst und will da schnell wieder weg ( die erste Tüte Nimm2 und ein Pumuckl-Buch trotzdem große Schätze in meinen Händen auf dem Weg nach Hause ).

Stolz, welchen ich aber teuer bezahle.

Wenn ich finanzielle Hilfen von Freund*innen ausschlage, wenn ich nicht beantrage, was mir das Leben zwischen Studium, Arbeit und Kleinkindfürsorge ein wenig erleichtern könnte, wenn ich mich weigere, mich zum Essen einladen zu lassen oder erst nach langen Erklärungen, die Sätze wie“ Dann musst du aber versprechen, dass ich dich auch bald einmal einladen darf“ enthalten. Wenn ich keiner Menschenseele erzähle, dass ich nachts wieder nicht schlafen konnte beim Rechnungen im Kopf hin-und herschieben oder ob der Frage, wie ich die aktuelle Semestergebühr bezahlen soll. Lieber eine Woche Nudeln, am Ende gar ohne Ketchup, bevor ich das care paket der Freundin annehme.

Stolz, der sich in kleine harte Wutkugeln verwandelt,  wenn mir eines lang und breit erzählt, welche vegetarian shoes es als nächstes erwerben wird, zusätzlich zu den vier fast neuen, die bereits im Schrank stehen. Schnell schiebe ich mein abgetragenes (und einziges Schuh) Paar unter den Tisch und sage “ Ja, die halten echt ewig“.

Und…

Die Wirkung dieses Stolzes ist flächendeckender als ich wahrhaben will. Stülpt einen Mantel des Schweigens über diskriminierende Struktur. Ich sage nichts, niemals und nirgendwo. Schließlich bin ich stark und schaff’das auch ALLEINE, dankeschön. Nichts und niemand kann mir so etwas und so werde ich Mittäter*in beim Unsichtbarmachen dieser hässlichen Mechanismen die uns in Gewinner* und Verlierer*innen teilen (sollen) . Mechanismen, die mich selbst betreffen.  Von Menschenhand geMACHT. Aus der Region und biologisch einwandfrei. Ich will die Arbeit am Erhalt eines menschenverachtenden Systems niederlegen, verweigern, nicht mehr mitmachen. Will nicht mehr zulassen, dass strukturelle Missstände auf Individuen heruntergebrochen werden und dort mit aller anhängenden Verantwortung liegenbleiben. Dass das Politische dadurch REprivatisiert wird.

“ Wenn du etwas wirklich willst, dann schaffst du es auch “ steht auf Transparenten von Menschen, die die Wettbewerbs- und Konkurrenzlogik dieser Gesellschaft längst so verinnerlicht haben, dass sie sie als die natürliche™ Ordnung empfinden und gerne dann hochhalten wenn sie sich um mein persönliches „Versagen“ versammeln, mit den Fingern auf (vermeintliche) Fehlentscheidungen zeigend.

Meine Verantwortung liegt darin, hinzuschauen, wo ich selbst dabei mitmache und auf welche Art. Mich auch zu erinnern, welche Wege ich bis jetzt gegangen bin und warum. Ohne Wertung. Ohne mich selbst dafür herabzusetzen und zu verdammen.

Ehrlich zu sagen, dass ich manchmal vor Erschöpfung weine. Angst habe unter dem immensen ökonomischen Druck irgendwann einmal zusammenzubrechen. Das wunderbare Kind anschaue und mir die Brust wehtut, weil ich nicht weiß, ob ich mir nicht ganz gewaltig etwas vormache, wenn ich mir sage, dass es die gleichen Chancen wie alle anderen haben wird. Weil ich doch alles dafür in meiner Macht Stehende tue. Denn hier ist der Punkt, wo ich mir eingestehen muss, dass meine Macht eine kleine ist…und je mehr ich zeige, dass es trotzdem geht, nur die bestätige, die weiter oben benannte “ Du bist deines Glückes Schmied „ Marktpolitik für einzig wahr halten.

Ein Teufelskreis.

Der weitaus größere Anteil an der Verantwortung liegt doch aber bei denen, die privilegiert sind, die (mehr) MACHT haben, meiner Stimme und der Anderer Gehör zu verschaffen, Raum (ab) zu geben um dann zusammen Dinge zu ändern.

Bei einem respektvollen und konstruktivem Gespräch auf Twitter über diesen Text der Bloggerin Mama Miez ist mir wieder aufgefallen, warum ich nicht länger still sein will.

Es geht mir mitnichten darum, Eine mit Negativismus zu bewerfen, welche einfach etwas Nettes getan hat. Wer behauptet das 20 Euro auch nichts ändern würden, entlarvt sich selbst eh nur als privilegierte Person, die nicht weiß wie es sich im „prekären“ Bereich der Gesellschaft anfühlt. Das die Bloggerin Empathie gezeigt und offensichtlich mit ihrem post auch bei anderen geweckt hat, ist doch zu begrüßen.

Mich beschleicht beim Lesen nur einmal mehr das Gefühl, dass es am Ende wieder ausschließlich um das abfeiernde Bestätigen des eigenen (gesellschaftskonformen) Lebensentwurfes geht und die ältere Dame samt ihres offensichtlichen Elends zur Backgroundmusik degradiert wird…eine Begleitmelodie, welche unterstreicht wie menschlich und warmherzig eines selbst ist und nach Beifall heischt. Ausgerechnet an Mama Miez nun aber strukturelle Diskriminierung abzuarbeiten und sowohl sie als auch die ältere Dame in oben/unten Stellvertreterinnenrollen zu besetzen ist anmaßende selbstgerechte Dialektik, die keinem Menschen etwas nutzt. Als hätten abwertende bis zynische Reaktionen jemals Kühlschränke gefüllt oder Rechnungen bezahlt.

Mich stört vielmehr, dass sich die meisten der Kommentator*innen eher mit der Großartigkeit der Autorin beschäftigen, unzählige Male wiederholen, wie toll das doch alles wäre und die eigentliche Alltagsheldin in dieser Geschichte dabei vollends im Hintergrund verschwindet.

Eine erneute Auflage von wir hier und euch dort. Erleichterndes Ausatmen, wenn eines sich auf der richtigen Seite befindet.

Wichtige Fragen, die auch in dieser Diskussion aufgeworfen worden, sind für mich vor allem die nach der Würde plus deren Aushängeschild, dem Stolz und wie von oben nach unten verteilt werden kann ohne das selbige berührt wird.

Ich möchte aber, dass wir darüber reden, warum es dieses oben/unten überhaupt gibt und was sich zudem dazwischen noch alles abspielt.

Wo die berühmte Schere zu wachsen beginnt um dann Lebensrealitäten zu schneidern ( und wer sie hält !) und am Ende genau die klaffenden Abgründe zurücklässt, in die auch ich schon gefallen bin. Weil es irgendwann aus menschlicher Kraft nicht mehr möglich ist diese Kluft zu überwinden, schon zweimal nicht ganz auf dich selbst gestellt.

Pisa-Studie, OECD-Bericht, Bildungsbericht der Bundesregierung, die Grundschulstudien Iglu und Timss, die jüngste Erhebung der Bertelsmann-Stiftung – immer und immer wieder wird das deutsche Bildungssystem untersucht, mit unterschiedlichen Methoden und unterschiedlichen Fragestellungen. Die Diagnose ist immer dieselbe: In Deutschland sind die Bildungschancen extrem ungleich verteilt. ( Quelle : http://www.zeit.de/2013/28/bildungsungerechtigkeit-bildungspolitik )

Die Verachtung des sogenannten ( wo auch immer dieser anfangen oder aufhören mag) Mittelstandes für sich in Armut befindende Mitmenschen mitsamt all den distanzierenden oft abfälligen Begrifflichkeiten entspringt der Angst selbst irgendwann dazuzugehören… Oder sich bereits näher zu sein als eines als Tatsache anzuerkennen bereit ist. Es verwundert nicht, dass es beispielsweise FunktionsTV- und fastfoodbashing braucht, dass dir immer wieder versichert, dass DU nicht so bist.  Wenn du dann auch noch alle second hand Klamotten in Vintage stuff umlabelst, auch weil du dir die neuesten Klamotten nicht mehr leisten kannst, dann ist hexhex wieder alles so wie es sein soll. Die Mitarbeiterin meiner Bank, die verächtlich schnaubt als sie feststellt, dass ich ein P-Konto habe und mich ab da nur noch geringschätzig abzukanzeln versucht…nur ein weiteres Beispiel, wie sich Menschen in unsicheren Zeiten stetig ihrer eigenen Rechtschaffenheit und Normalität versichern müssen.

Armut, Geschlecht, Körper , race etc. werden so immer wieder zur jeweiligen Negativschablone von der es sich positiv abzusetzen gilt. Armut zur Hipsterness zu erklären und ironisch hochleben zu lassen ist übrigens auch wenig hilfreich. Es ist es nämlich nur dann romantisch, bei Kerzenlicht im Camouflage-Trainingsanzug einen leckeren Teller Nudeln mit Ketchup zu verspeisen, wenn du dazu die freie Wahl hattest. Wenn die Kerzen brennen, weil du die Stromrechnung nicht bezahlt hast, Trainingsanzug+Nudeln mit Ketchup das Einzige sind, dass du dir noch leisten kannst bist du auf der anderen Seite, da wo keines sein will und du mitleidige Blicke zuhauf bekommst und zwar völlig kostenlos.

Was ich darüber hinaus schwierig finde sind Stimmen aus gesellschaftskritischen Kreisen, die Texten die Relevanz absprechen, je mehr sie persönlich gefärbt sind. Auch hier ein REprivatisieren von einem Thema, das soviele (und immer mehr) betrifft und dadurch mit genau den Mechanismen gedeckelt wird, die doch an anderer Stelle so vollmundig bekämpft werden (sollen). Das hätte Bourdieu ganz sicher nicht gefallen.

Stattdessen könnte eines die Energie nutzen und die eigene Position samt möglicherweise anhängender Privilegien einer ausführlichen Prüfung unterziehen.

Ich bin arm, aber ich schäme mich nicht mehr dafür.

Schweigegelübde gebrochen.

 

 

#unten

40 Antworten zu “Nudeln mit Ketchup

  1. Ich kenn das so gut.
    Gerade dieses Unterstützung annehmen ist so verdammt schwer, weil wir nicht wie „Schmarotzer“ wirken wollen. Dabei hat mich persönlich von den Leuten, die mir Hilfe anbieten, niemand so bezeichnet, aber das sitzt einfach drin und ist nicht so einfach aus dem eigenen Kopf zu kriegen. Mittlerweile kann ich das ganz gut, Lebensmittel annehmen zB. Bei Geld tu ich mich immer etwas schwerer, weil das den Beigeschmack von Almosen hat.
    Diskussionen mit Veganer*Innen, warum du dich denn nicht 100%ig vegan ernährst, die Glorifizierung des Armseins, gerade in der „linken szene“, die Kommentare meines Vaters (der einen gut bezahlten Vollzeitjob hat), der darüber jammert, dass es ja alles nicht so einfach sei und überhaupt, „WIR“ wüssten ja, wie wir mit wenig Geld auskommen (häh?). Es kotzt mich so sehr an.

    Nicht vergessen: Du bist nicht allein. Niemand von uns ist das.

    • Liebe Janne, danke für deinen Kommentar <3.

      Scham ist das Eine. Das Gefühl des irgendwieNICHTalleinKlarkommens trotz ERWACHSENSEIN ein Anderes. Üble Vorlage zur Selbstzerfleischung, noch mehr wenn es nicht nur um dich sondern auch dein(e) Kind(er) geht.
      Und: Glorifizierung des Armseins in der Linken trifft es ganz genau…um dann doch den neuesten technischen Schnickschnack auf Täsch zu haben oder teure Markenkleidung auf Demos und offenbar immer genug Geld um im großen Stil saufen zu gehen. Der vegane Lifestyle ist übrigens so, wie ihn einige betreiben wunderbar anschlussfähig an kapitalistische Verwertungsmechanismen. Das ist aber einen eigenen blogpost wert.

      Ich bin nicht allein…und du auch nicht.

      Zusammen kämpfen für das gute Leben <3.

  2. Vielen Dank für diesen Post. Arm sein ist besch*ssen. Oh, das mit den Einladungen fand ich auch furchtbar. Das ging gar nicht. Und der heimlich zugesteckte Geldschein von den Eltern, oder das Schwesterlein, dass mir ein Buch kauft, nur geliehen, weil ich ja zu stolz war, mir eins schenken zu lassen…
    Gerade hier ist es richtig, die Scham zu überwinden (etwas, das mir sogar hier im Kommentar, und obwohl es bei mir schon 10 Jahre her ist und nur ca. ein Jahr ging immer noch schwer fällt) und darüber zu sprechen, zu schreiben, zu bloggen, zu twittern – es mitzuteilen, damit das Thema den Menschen um die Ohren fliegt und niemand mehr aus heiterem Himmel mit der bösen Armut konfrontiert werden kann.
    Liebe Grüße, momatka

    • Liebe Momatka, danke fürs feedback und das Teilen deiner Erfahrung <3. Du hast recht, in der Armut gibt es nichts Heroisches…außer uns selbst in unserem täglichen Überlebenskampf. Wer arm sein glorifizieren kann, ist es nicht. In Würde arm sein ist ein Realität gewordenes Oxymoron. Die Scham zu überwinden, immer wieder auf's Neue…ich freu'mich, dass wir hier einen Anfang gemacht haben. Ich merke aber auch, über das Schlimmste spreche ich dann wieder nicht…so wie du beim Schreiben merkst, wie schwer es dir fällt. Trotz 10 vergangener Jahre. Ich freu'mich so, dass es jetzt anders ist für dich und ich freu'mich über den Austausch. Alles Liebe <3.

  3. oh ja. ich bin momentan nur nicht arm, weil ich in einer beziehung lebe. grade geht es mir sogar sehr gut, weil ich dazu einen 7monatigen arbeitsvertrag habe. davor war alles – hell, yeah. und jedesmal losheulen, wenn mir jemand geld zusteckt oder sonst was anbietet. von den momenten, in denen ich mal um geld bitten musste, ganz zu schweigen. toll, dein mut das schweigen zu brechen!

    • Liebe Melanie, ich danke dir, auch für’s Wiedergeben deiner Erfahrung <3.

      Dieses beziehungsabhängige Geldhabending, vor allem auch im Verbund mit Kind ist nochmal ein Thema für sich…wie AufZehenspitzen es auch in ihrem blogpost http://aufzehenspitzen.wordpress.com/2013/09/23/getrennte-rechnungen-jein/ gerade schrieb…es ist schlichte Tatsache, dass Geldsorgen auf mehrere Schultern verteilt zwar geringer werden (bzw. gar nicht erst entstehen, je nachdem), in welchen Anteilen aber das Geld verteilt ist und was das längerfristig auch in Hinblick auf eine etwaige Trennung bedeuten kann…schwieriges Feld. Wer möchte schon, verliebt und glücklich, über sowas nachdenken…

      Alles Liebe !

  4. Auch ich bin arm. Meine Eltern waren’s auch. Und wenn ich meiner Tochter wünsche, dass es ihr irgendwann anders ergeht, dann nicht des Armseins wegen, pah, die ollen Einschränkungen nehmen wir doch mit links – statt Indoorspielplatz wirds der Wald, statt Kino die Bücherei – sondern der vielen, vielen Sorgen wegen. Schaffe ich in diesem Monat die Miete? Und was ist wenn die Waschmaschine kaputt geht? Oder das Mädchen ihre Brille verliert?
    Danke für Deine mutigen, reichen Worte.

    • Liebe Marthaon, gerne würde ich dich drücken+herzen…i feel you ! Genau so geht es mir auch…ich fühl’mich nicht defizitär, weil ich bestimmte Dinge nicht „haben kann“, ich würde dem Kind nur gern diese säurigen, alles zerfressenden Sorgeattacken ersparen und ihm ermöglichen, seinen Weg genau so zu gehen wie es möchte…ohne Einschränkung. Danke, dass du hier kommentiert hast und alles alles Gute für dich und deine Kleine ❤ ❤ <3…grüß'sie von uns uns sag'ihr, beim nächsten Herbstspaziergang denken wir an euch !

  5. Und wo bleibt die Dankbarkeit, daß es nächstes Jahr sogar NEUN Euro mehr geben soll? Und wie kann man die Amtsgängelei (das „Støckchenholspiel“, wenn die „Mitwirkungspflicht“ in unregelmäßigen Abständen Terror verbreitet) als Drangsalierung bezeichnen? Wie kann man es als „Elendsolympiade“ bezeichnen, wenn gefaselt wird, wem es wo noch viiieeel schlechter geht? Wenn man nicht einsehen will, daß Arbeit um jeden Preis, egal was, wo, wie mies bezahlt, den Wert eines Menschen bestimmt?

    Wer nichts zwischen sich und seinem Essen haben will, muß die Hand beißen, die ihn füttert. Verachtung, wem Verachtung gebührt. Denen, die in einer perversen Definition von „da oben“ hocken.

    Das sind natürlich alles keine Løsungen, aber vielleicht kann man nicht oft genug betonen: Wir „Asoziale“ sind die Guten, das System ist krank und falsch.

    Danke für Deinen Blogpost, ich wünsche Dir Kraft und Gelassenheit.

    ( ^^)v

    • Hallo yak,

      großes Danke für deine klaren treffenden Worte.

      Ich finde, diesen ist nichts hinzuzufügen…außer vielleicht noch, wie schwer ich es gerade finde mich immer wieder aufzulehnen im täglichen Ringen und wie oft mir inzwischen die Brustgegend schmerzt seit es auch um das Kind geht. Das es nochmal alles um eine zermürbende Dimension verschärft, wenn ein (oder mehrere) Menschen auf dich angewiesen sind.

      Alles Gute auch dir ❤ !

  6. Vor zwei Jahren ging es mir superdreckig, im Prinzip war ich schon längst zusammen gebrochen. Krank. Schlimm krank. Ohne KV. Arm war ich auch, arm und überschuldet – und ich stand kurz vor dem Weg in die Obdachlosigkeit.

    Nachdem ich wieder – dank Hilfe – so einigermaßen auf die Beine fand, konzentrierte ich mich darauf, die rund 3.000,- Euro Schulden, die sich bei mir angehäuft hatten, irgendwie „zu entschärfen“ – und auf verschärfteste Weise zu sparen (und Pfand zu sammeln – und meine Ernährung aus Biotonnen zu beziehen), die nur irgend möglich war.

    Es hat lange gedauert. Es hat Kraft gekostet. Nein, und es war nicht immer sehr schön. Mitunter sogar richtig hässlich – wobei das hässlichste die Reaktionen der lieben Mitmenschen sein können – und sie können auch das schönste sein. Beides habe ich erlebt.

    Inzwischen bin ich nicht nur schuldenfrei, ich habe mir auch einen überraschend großen Betrag für Notzeiten angespart. Wie das genau geklappt hat, habe ich oben angedeutet – mir selbst ist es trotzdem zur Hälfte unklar, vor allem, warum das so gut geklappt hat. Die Fähigkeit (genauer gesagt: Das Glück) trotz körperlicher und seelischer Gebrechen: mit der Situation klar zu kommen – und mehr noch, mich hier ein wenig „frei zu schwimmen“ – das hat mich sogar ein klein bisschen stolz gemacht. Es hat mir zudem die Angst genommen vor künftigen Notlagen, denn jetzt habe ich eine ziemlich genaue Vorstellung, wie ich mich daraus befreien könnte. Jedenfalls, wenn es nicht zu dick kommt.

    Es gibt dabei allerdings ein ganz großes Aber: Nicht unbedingt die Bereitschaft, sich über den eigenen Ekel hinweg zu setzen. Ach, mensch gewöhnt sich so schnell an so vieles! Es ist schier erstaunlich. Nein, das große Aber ist:

    Ich war nur für mich selbst verantwortlich. Wenn ich noch die Sorge für ein Kind hätte, allein auf mich gestellt, das würde mich vermutlich geradezu krank machen – oder mich lähmen, was auf das Gleiche hinaus läuft.

    Mit anderen Worten, ich habe großen Respekt vor dir, vor jeden einzelnen Monat, den du für dich und dein Kind mit Leben ausfüllst!

    Grüße
    von einem unbekannten Ort im Internet zum anderen

    Und mögen gute und schöne Zeiten auf dich zukommen!

    • Hallo Kleinersschreiherausling….vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar und die Möglichkeit eines Einblicks in dein Leben. Respekt anhängend.

      Ich denke, dass allein das Gefühl das Eins es jederzeit schaffen kann aus einer äußerst misslichen Lage herauszukommen- weil bereits einmal geschafft- gibt schon viel Zuversicht an der es mir mehr und mehr mangelt. Weil hier eben ein Kind mit dranhängt. Weil ich manchmal wirklich kein Licht mehr sehe. Weil ich keine Wahl mehr habe. Worum es mir aber noch viel mehr geht ist die Tatsache, dass alles wieder so auf’s Individium heruntergebrochen scheint in der momentanen Diskussion. Schaffen oder nicht schaffen, da bleibt es für viele offenbar stehen. Ich frage mich eher, was dieses „Schaffen“ eigentlich ausmacht und warum es für viele Menschen völlig normal™ ist, dass es diesen täglichen Kampf um alles überhaupt gibt/geben muss oder das manche eben mehr/immer zu strampeln gezwungen sind (und doch kaum vom Fleck kommen) und manche eben nicht. Wo all das überhaupt losgeht und warum eine verkürzte Oben/Unten Rhetorik dann aber auch nicht genügt. Machtgefälle eher noch verfestigt bzw. Menschen in ihren Lebenssituationen festschreibt.

      Ich hatte jetzt zwei Wochen so gut wie keine Zeit überhaupt über etwas Anderes nachzudenken als mein alltägliches „Klarkommen“. Wo bekomme ich das Geld für den Semesterbeitrag her, wie zahle ich die Miete diesen Monat usw…und das ist doch das eigentlich Perfide:
      Das die, die von Armut (und/oder anderen strukturellen Unterdrückungsmechanismen) betroffen sind, keine oder nur sehr begrenzte Ressourcen zur Verfügung haben überhaupt dagegen aufzubegehren. Die die es angeht anzusprechen, sich Luft zu verschaffen, Raum zu bekommen.
      Deswegen schrieb ich „Will nicht mehr zulassen, dass strukturelle Missstände auf Individuen heruntergebrochen werden und dort mit aller anhängenden Verantwortung liegenbleiben. Dass das Politische dadurch REprivatisiert wird“.

      In diesem Sinne…alles Gute auch für dich ❤ und das du nie wieder in so eine Notlage gerätst.

  7. Nichts annehmen wollen – hm, ich verstehe einerseits den Stolz, andrerseits verschärft das natürlich die Armut.

    Es gibt diesen alten Spruch „geben ist seliger als nehmen“ – und ich finde, da ist was dran! Wer annehmen kann, gibt dem Gebenden ein gutes Gefühl, nämlich das unschätzbare Gefühl, etwas SINNVOLLES zu tun. Sinnvoller als irgendwelche zusätzlichen Einkäufe..

    Meine Klamotten kauf ich übrigens auch dann im SecondHand-Kaufhaus, wenn ich mir grade andere leisten könnte. Wg. der Nachhaltigkeit und wg. der größeren Auswahl. In den Läden ist doch immer nur die aktuelle Mode – und dass es jedes Jahr andere Moden gibt, soll vor allem dem Umsatz, dem Wachstum, der Wirtschaft dienen. Hab‘ mich immer schon gefragt, warum so viele Leute das mitmachen – und laufe eigentlich schon lebenslänglich in Jeans und T-Shirt rum, im Winter Sweatshirt. Alles eher unauffällig…

    Als es mir mal richtig dreckig ging und sogar ein Gerichtsvollzieher im Auftrag eines Inkasso-Unternehmens vor der Tür stand, fasste ich mir ein Herz und bloggte weit konkreter als sonst über meine „persönliche Finanzkrise“. Woraufhin ich ungemein viel Unterstützung auf vielerlei Weisen erhielt – ich war ganz geplättet! (Hier ein Bericht aus dieser Zeit)

    Als studierende Mutter ist die Situation viel heftiger als sie mir als Kinderloser und Freiberuflerin je zustoßen könnte, klar! ABER: Hilfe und Unterstützung annehmen von all jenen, die sich das locker leisten können: Ja WAURUM DENN NICHT?

    GUT, dass du dich nicht mehr schämst!!!

  8. Vielen Dank für diesen Text und Deine Offenheit, die sicher viel Überwindung gekostet hat.
    Nur eines dazu: Rechte in Anspruch nehmen, für die unsere Vorfahren gekämpft haben, ist nicht “um Hilfe bitten”. “Betteln” ist es erst recht nicht. Als Du gearbeitet hast, hast Du Lohnprozente in Sozialversicherungen einbezahlt wie jede andere, Du hast Einkommenssteuer bezahlt, wie jede andere. Deshalb hast Du Anrecht auf gewisse Leistungen, wenn es Dir beschissen geht. Das sind keine Almosen! Nimm sie stehend in Empfang, mit erhobenem Haupt, denn Du hast bereits dafür bezahlt und Du wirst sie eines Tages wieder zurückzahlen können.
    Ich wünsche Dir und Deiner Familie alles, alles Gute!

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  10. Pingback: #nudelnmitketchup – über dieses Hashtag (und über mich) | robins urban life stories

  11. jammer jammer — „wir freiberuflerinnen, wir studiernden, wir „…. ja, wirtschaftliche armut ist beschissen, aber solange ihr euch mit bordieu und studiengebühren beschäftigen könnt (gehört es zur sozialisation des „mittelstandes“ mehr zu leiden und dadurch jeden scheiss zu erklären statt sich aktiv und kämperisch zu verhalten?), also – so werdet ihr eines tages – nach eurem studium ( wie immer ihr es auch geschafft habt – der weg vom bordell zur uni ist oft nur eine beinbreite), werdet ihr grosse gut bezahlte studien über die prekären schreiben, die armen, die auch morgen noch arm sind, weil sie verfügbare masse im wirtschaftssystem sind, ausgekotzt, abgeschoben … also, lass den kopf nicht hängen, ihr habt noch hoffnung

    • Warum so aggressiv? Du klingst „neidisch aufs Studium“ und scheinst nicht zu wissen, dass DANACH heute keineswegs alles paletti ist! Stichwort „Generation Praktikum“ – nie davon gehört?

      Zudem diskriminierst du Sex-Arbeiterinnen – ein Job, der keineswegs nur Studierenden (männlichen wie weiblichen Geschlechts) offen steht. Was soll das? Wobei das „Bordell“ heute wahrlich nicht mehr DIE Adresse solcher Nebentätigkeiten darstellt, sondern der Escort-Service – über eine Agentur oder ganz selbständig. Besser als der 400-Euro-Job an der Aldi-Kasse ist das allemal!

  12. Unkommentiert will ich es nicht lassen, viele( gute) Worte fallen mir aber auch nach erneutem lesen nicht ein. Aber so viel – danke! Für diese Worte die Semsibilität schaffen. Meine Gedanken anstoßen.

  13. Pingback: …von Armut ganz zu schweigen | NaLos_MehrBlick

  14. Pingback: Kurz gefasst im Oktober 2013 | Mama hat jetzt keine Zeit…

  15. Pingback: Kommunikation | minulinu

  16. danke für den text. kann nur zustimmen und sagen, auch als höchstqualifzierte auf jobsuche findet man sich heute sehr schnell in armut wieder, samt all der geschilderten „almosen“ und „repressalien“. diesen zustand nicht allein ertragen zu müssen, eine beziehung zu haben, die vieles auffängt, ist ein trost aber keine lösung. das gefühl des ausgeschlossenseins, des versagens und der ohnmacht ist dasselbe und die panikattacken ebenfalls. ich habe das glück, dass es mir nicht ganz so schlecht geht wie anderen kommentator/innen, aber das ist allein der tatsache zu verdanken, dass ich nicht allein bin. wenn ich allerdings an rente oder ähnliches denke dann bekomme ich große panik. eine super ausbildung garantiert heute kein auskommen mehr. strukturelle missstände nicht zu privatisieren, diesen aufruf kann ich nur unterschreiben!

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  20. also ich nehme nur das an, was mir von Staats wegen zusteht (H4). Habe 25 Jahre gearbeitet. Die Firmen in denen ich war gibt es nicht mehr. Jetzt seit 2 Jahren nur noch Absagen. Freunde – keine mehr – . Ich kannte noch zwei, die mich immer wieder zum Essen einladen wollten, doch irgendwann wurde mir dies aufs Brot geschmiert (obwohl ich immer meinen Teil zum Kochen mitgebracht habe und die komplette Küche aufgeräumt habe). Aber sich dann wie Mega-Wohltäter über mich stellen und mich zu lebenslangem Dank verpflichten wollen, nein, dann möchte ich diesen Kontakt nicht mehr haben. Auch wenn es momentan einsam macht, so fühle ich mich damit dennoch wohler.
    Ich glaube wenn ein Kind da ist, hat man ggfs falls innerlich mehr Kraft auch mal was zu nehmen. Ich weiss es nicht, ich könnte mir es nur vorstellen.
    Bei einer Diakoniestation habe ich mitbekommen, dass da für Kinder immer wieder Sammelaktionen durchgeführt werden (z.B. Schulranzen, oder Weihnachtspakete, etc. ). Diese werden dort gesammelt und an die Kinder weitergegeben. Das läuft anonym, d.h., man trifft den Spender nicht persönlich, muss sich somit auch nicht in eine Dankbarkeitshaltung werfen.
    Es gibt aber auch Menschen, die sich überhaupt nicht darum scheren, die alles nehmen, was sie irgendwoher bekommen können und die auch kein Gefühl der Schuldigkeit deswegen entwickeln. Vielleicht sollte man einfach ein bisschen abgebrühter werden.
    Ich sehe nur in meiner Umgebung, wie viele es von „uns“ gibt. Leute in meinem Alter (47), viele arme Rentner. Und die meisten davon machen das till mit sich aus.
    Es interssiert ja eh keinen.
    Wichtig ist, dass man sich dafür nicht schämt. Schämen müssen sich ganz andere. Nämlich die, die sich Ihre Beutelchen so mehr oder weniger klammheimlich mit netten kleinen Diätenerhöhungen füllen. Am besten zu Zeiten wie Fussball-WM, wenn das „Dummvolk“ beschäftigt ist, wird mal kurz ein Diätchen erhöht. Was machen die nur mit dem ganzen Geld. Sie könnens doch nicht mitnehmen.

    Was uns nicht passieren kann, ist dass wir uns wegen unserer „Wohlstandsbäuche“ (die wir wohl eher nicht haben) eines Tages nicht mehr bewegen können (sorry, kleine Karikatur).

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