Ich bin als Mensch verkleidet…und essgestört.
Damit bin ich wahrlich nicht allein: Statistiken sprechen von 5 Millionen Betroffenen allein in Deutschland. Dabei gehe ich von einem MINDESTENS aus. Die Realität, gut getarnt als oberflächlicher und nur zu belächelnder Schönheitseifer, würde mit um einiges höheren Dunkelziffern aufwarten können. Es liegt aber im Wesen der Essstörung, dass wir keine Anzeigen über unseren Zustand schalten. Lediglich im Endstadium ist dann Leugnen kaum mehr möglich. Von Magensäure verätzte Speiseröhren oder Zähne. Vielleicht ein weicher Flaum von Haaren, welcher den ganzen Körper überzieht. Der Blick immer rotgerändert, ein Zittern der Knie bei der leisesten Anstrengung. Kollaps is calling. Der Hass auf das eigene unkontrollierbare Fleisch zu groß, nur noch übertroffen von der Verachtung für all das überquellende Körperfett.
Ich bin seit einer Weile trocken. Habe das Kalorienzählen komplett verlernt. Anstelle des Einteilens von Nahrungsmitteln in zuviel und kaum ist wieder das schlichte ‚Schmeckt mir,lecker,mniam mniam‘ getreten. Davor ein langer steiniger Weg zurück zu mir, Hungrigen. Immer sososo hungrig. Einen fast unstillbaren Appetit auf die Welt und das Leben, der vor allem heranwachsenden Mädchen oft gründlich verdorben wird.
Es geht aber vermeintlich nur um Schönheit oder vielmehr diesen faden einfarbigen Entwurf, der uns als solcher verkauft wird. Einengend genug ist. Kein Platz lässt für Neugierde und Lust und Spaß am eigenen Körper.Wo kämen wir da auch hin, fühlten wir uns alle endlich wohl in diesen Leibern. Die doch nicht uns gehören (sollen) . Viel schlechter verwertbar sind, wenn wir unseren Selbstwert nicht mehr durch Andere definieren lassen, uns ihren Be-und Entwertungen entziehen und nur noch danach gehen, ob wir uns wohl fühlen und was uns dabei hilft und guttut.
Wer also Essstörung sagt, muss auch zweifelhaftes Selbstbild sagen und die Frage erlauben, wer zur Hölle festlegt was Schönheit ausmacht…und was nicht. Jeden Menschen maßregelt oder schlimmer noch ihm Gewalt antut, der ausschert, gängige Vorstellungen über den Haufen wirft, sich nicht der Körpervorgabe entsprechend verhält. Denn der Körper ist Kapital, nicht deines übrigens…sorry,honey !
Mein Uterus trägt vermutlich das Brandzeichen vom Papst und seinen Lebensschützern, vor allem seit meiner 1.Menstruation. Wobei das monatliche Abstoßen von Schleim und Blut möglichst duftarm und unbemerkt in viel beworbener Baumwolle zu passieren hat. Großes Bedauern, wenn mal was überläuft. Auch für PMS gibt es putzige Pillen, frag‘ nur nicht Arzt oder Apotheker nach den Nebenwirkungen. Meine Haut ist rein+weiß+faltenlos, das Haupthaar stets wohlfrisiert. Mit Brüsten, Geschlecht und Po verdiene ich mir ein Zubrot im mainstreamporn oder auf überdimensionalen Werbebannern, ich weiß nicht so genau, ich verwechsle das manchmal. Ich verstehe natürlich, dass das Entblößen meiner Brust beim Stillen in der Öffentlichkeit dann wieder anstößig ist und sofort geahndet werden muss. Bekommt ja auch keiner Geld dafür. Selbst meine Ausscheidungen duften nach Rosen oder Apfel. Da habe ich die Wahl. Cellulite und Schwangerschaftsstreifen sind übrigens nur Zeichen meines ganz persönlichen Versagens. Du kannst es trotzdem schaffen !
Eine Essstörung, selbst im ausgetrockneten Stadium ist gefährlich. Für Körper und Geist. Manchmal lebensbedrohlich. Ein Schatten der Angst vor dem Raumeinnehmen, der bleibt. Immer dann wieder größer wird, wenn es sich anfühlt als würde die Macht über das eigene Leben schwinden. Wie jemand, den du nicht besonders magst, der dir aber auf jeden Fall und überall hin folgt. Unaufhörlich kommentiert.
Noch gefährlicher sind aber Menschen, die sich in ihren Körpern zuhause fühlen. Sich nicht darum kümmern, ob sie Normen entsprechen oder kategorisierbar sind. Die ihren Raum einnehmen und aufbegehren, wenn das nicht möglich ist. Dann Fragen aufwerfen nach dem Wer/Was, der/das lange genug für sie definiert und zugeschrieben und das Wort schön mit strengen Vorgaben gefüllt hat. ‚Schluss damit‘ brüllen sie dann und sind nicht mehr zu ignorieren.
Ich bin so 1…und ich nerve. Unglaublich. Fühl’mich viel zu wohl in meiner pickeligen Haut und nehme viel zu viel Platz ein und mich endlich wichtiger als all die Kommentatoren um mich herum. Hab‘ aufgehört mich dünne zu machen.
Nun bin ich aber seit über einem Jahr auch Mutter eines schnutzeligen BabysKleinkindes. Habe ich mich vor noch nicht allzu langer Zeit endlich gemütlich bei mir eingerichtet, geht es beim kleinen Wusel gerade los.
Das fängt nicht erst bei Ratschlägerbüchern rund um die Entwicklung des Babys an, die erzählen, welche Dinge es wann zu können hat…und wehe das Kind entspricht den Entwicklungskurven nicht. Norm ist alles, die nächste Generation Humankapital soll schließlich optimiert ins Rennen geschickt werden. Modekataloge für Kleinkinder verwundern dann auch nicht mehr.
Gestern beim Kinderarzt, als das kleine Wusel seine nächste Impfung bekommen hat, ist es mir wieder aufgefallen, was das schon hier und jetzt nah an uns dran für Wellen schlägt. Dieses Gemustert-Werden, dieses Abchecken von der Kopfbedeckung samt restlicher Kleidung bis zum Kind selbst. Das kleine Wusel ist groß für sein Alter und oft wird es viel älter geschätzt. Da passiert es dann oft, dass Menschen von einem mitleidigen ‚Ach,schon so alt und kann noch nicht -bitte einsetzen- ‚ zu ‚ hüstel…da ist es aber schon schon früh dran, nett nett ‚…häh? Arggh! Ich vergleiche auch, finde das auch nicht weiter problematisch…weil es wirklich spannend ist, was andere Kids im selben Alter so machen. Aber was da passiert ist das : Es wird bewertet, eingeteilt und dann ist es zum Konkurrieren oft nur noch ein Katzensprung.
Soviel könnte ich mich gar nicht mehr übergeben, wie ich das zum Kotzen finde.
Wir reden hier schließlich von einem Mensch, ein kleiner Mensch noch zwar, eingeschränkt in seiner Willensäußerung und doch verdammt nochmal auch mit eigener Würde und dem Recht auf Unversehrtheit. Für die ich aber nicht für immer 100 % garantieren kann, fürchte ich manchmal. Trotzdem alles in meiner Macht Stehende dafür tun werde. Auf dass das kleine Wusel zwar um seinen Selbstwert nicht aber um seine etwaige Verwertbarkeit wissen wird und sich in seinem Körper wohlfühlt, egal ob DinA gemäß oder nicht.
Darin groß und stark und mutig genug wird um allen, die die Regeln des freien Marktes schon auf (ihre eigenen) Kinder anwenden seinen kleinen Stinkefinger zeigen zu können. Essstörungen soll es dabei nur vom HörenSagen und vielleicht noch dem blog seiner Mutter kennen :)…oder um mit den Worten von Beth Ditto (<3 ❤ <3) zu sprechen:
‚Lasst euch von euren Ideen in die Welt hinaustragen, in ein geniales, durchgeknalltes und aufregendes Leben. Den Stimmen in eurem Kopf und den Leuten, die euch kleinhalten wollen – sagt ihnen, dass sie sich verpissen sollen. Ihr seid perfekt, so wie ihr seid. Außer der Welt müsst ihr nichts verändern. Also fangt damit an. ‚
sie sind ja gertenschlank, sagt der gynäkologe letztens bei der … nein, … während der brustuntersuchung. ich weiß, er meinte es nett, von wegen nachderschwangerschaftistvorderschwangerschaftkörper. und: du hast eh schon wieder das gewicht von vorher, meinte ein freund neulich. ich weiß, auch er meinte es nett. es ist aber nicht nett als ex-schwangere andauernd auf das gewicht angesprochen zu werden. generell ist es mehr als eine unart, andauernd körper zu be(ver-)urteilen. auch nicht im positiven sinn. wieso verstehen das die komplimente-verteiler nicht!? ähm… ich wollte jetzt nicht so abschweifen; naja … was ich sagen wollte: ich will meinen körper nicht bewertet haben. mein gewicht ist nicht meine leistung. es ist traurig, dass es eine leistung zu sein scheint, sich darin wohl zu fühlen… und dass das bewerten schon bei babys anfängt (ach verhasste perzentilenkurve), ist, da hast du recht, zum kotzen. und dass so viele eltern dabei mittun auch.
Erlebe es ähnlich. Weiß noch, wie ich die ersten Wochen nach der Geburt immer wieder hin- und hergerissen war zwischen ‚Waaaahnsinn, was so ein Körper alles kann,hammerhart’und ‚Ähnlich sehe ich mir aber nicht gerade‘ beim Blick in den Spiegel.Dieser Lügner. Wohl habe ich mich nämlich trotzdem gefühlt.Obwohl ich in dieser Zeit so weit entfernt von irgendwelchen Schönheitsnormen war wie noch nie zuvor. Meine Freindin, die Essstörung hat sich nur selten blicken lassen in dieser Zeit. Jetzt, schlank wie vorher, lugt sie mir schon wieder öfter über die Schulter.
Diese Art des Kommentierens, dieses ‚Ich erinnere dich hiermit daran, dass du immernoch ein von mir zu beurteilendes(positiv,negativ,schei**egal !)Objekt bist.‘..wie ich es hasse. Wobei dies bei den Wenigsten sicher die Intention ist. Nettgemeint sein soll, wie du ja auch schon geschrieben hast.Sich einige aber genau deswegen beim nächsten Mal vielleicht mal überlegen könnten, was es bedeutet PERMANENT diesem ‚Begutachtet&Für-So-Und-So-Befunden-Zu-Werden‘ ausgesetzt zu sein.
Was die mittuenden Eltern betrifft…das tut mir nochmal ganz neu weh.Ich hab‘ da schon Kinder in ihren fein abgestimmten und aus feinen Stoffen designten Trikotagen sitzen gesehen, die hatten dieses Abchecken und Einteilen schon mit 3,4 Jahren perfekt drauf.GRUSEL !
„Denn der Körper ist Kapital, nicht deines übrigens…sorry,honey !“
Danke für diesen Satz.
Und natürlich für diese: „Wo kämen wir da auch hin, fühlten wir uns alle endlich wohl in diesen Leibern. Die doch nicht uns gehören (sollen)“
Das zeigt mir wieder, warum es erstrebenswert ist, mit der Körpernormierung aufzuhören. Leistungsgedankenmist.
Auch wenn Essstörung für mich eigentlich viel mehr direkt mit Essen zu tun hat, zum beruhigen, zum verarbeiten, zum Gefühle töten.
Und wenn ich mich dann noch in meinem Körper wohl fühlen würde, trotz eines gespaltenen Verhältnissen zum Essen, herje, wie soll das dann bloß noch verwertet werden…
Danke für diesen Text!
Danke auch von mir für diesen Text.
Ich fühle und fühlte mich immer wohl in meinem Körper. Ob vor der Schwangerschaft, während, oder danach-ich fands gut. Und schade. Schade, dass ich das bei so vielen anders erlebt habe.
Schlimm welchen Einfluss Medien nehmen.
Es ist doch fast schon die Ausnahme (und die von Dir genannten Zahlen bestätigen dies ja) kein Problem mit Körperformen/-wahrnehmung zu haben.
Auf allen Wegen und zu jedem Zeipunkt wird ja genau in diese Richtung gezielt. Und ich stimme zu- Es ist viel zu schlimm, dass diese Kategorisierung durch Screenings und Messungen schon ab der ersten Vorsorgeuntersuchung beginnt.
Vor-Sorge. Pah!